Walker Evans sagte über unbewusste Arrangements von Dingen im häuslichen Umfeld, die er in den 1930er Jahren fotografiert hatte, diese seien „a piece of the anatomy of somebody’s living“. Eugène Atget hatte Ähnliches in den Wohnungen der „Intérieurs Parisiens“ um 1910 beobachtet, Thomas Ruff in den frühen 1980er Jahren in seinen „Interieurs“.
Meine Betrachtung der Welt der Dinge setzt sich mit Aufnahmen aus Gefängniszellen fort. Wie sieht dort die Anatomie des Lebens aus, von der Evans spricht?
Was bleibt übrig von den Möglichkeiten des Umgangs mit der Welt in ihrer materiellen Ausprägung? Welcher persönliche Besitz bleibt erhalten? Teilt sich der Freiheitsentzug, teilt sich die Einschränkung der persönlichen Entfaltungsmöglichkeit in der Gestaltung des unmittelbaren Umfeldes mit, dem durch die Bedingungen der Haft fast nichts Privates bleibt?
Ausgehend von der Voraussetzung, dass Menschen sich durch die Erfindung von und den Umgang mit Gegenständen in die Welt einschreiben und sie gestalten, um ihren Platz in ihr zu behaupten, blicke ich auf die Dinge in den Zellen. Die Zellen-Bilder stellen die Frage, welcher Spielraum und welche Entfaltungsmöglichkeiten Menschen in Haft zugestanden wird.
Ein zweiter Aspekt der Serie „Zellen“ lässt sich mit einem Zitat des südafrikanischen Politikers Nelson Mandela (1918-2013) überschreiben:
„Niemand kennt eine Nation wirklich, solange er nicht in ihren Gefängnissen war.“
Diese Wahrheit büßt ihre Gültigkeit nicht ein, auch wenn ein wesentlicher Unterschied zwischen der Figur Mandelas wie der Bedeutung seiner Haft auf der Gefängnisinsel Robben Island (1963-1990) und den Haftbedingungen in heutigen deutschen Justizvollzugsanstalten besteht.
Es ist für jede Gesellschaft eine wichtige, stets gegenwärtige Frage, wie sie Verbrechen sanktioniert, wie solche Sanktionen umgesetzt werden und was die Öffentlichkeit davon weiß. Die übergroße Mehrheit der Menschen hat keine Vorstellung davon, wie es in einem Gefängnis aussieht. Kaum jemand außer den Betroffenen und dem dort arbeitenden Personal hat je eine Haftanstalt von innen gesehen. Sie bildet eine Parallelgesellschaft, geprägt von Klischees, die in Presse, Literatur und Film geschrieben worden sind.
So verdeutlichen sich in den Bildern von Gefängniszellen zwei gesellschaftliche Aspekte:
Die abstrakte, übergeordnete Idee des Freiheitsentzugs als Ordnungsmaßnahme wie auch das konkrete Bild, das das inhaftierte Individuum unter den Bedingungen der Haft von sich selbst entwerfen kann.